Wegen der Erweiterung der Bahnhöfe von Lausanne und Genf sollen Wohnhäuser abgebrochen werden. In Lausanne wurde eine Lösung gefunden, in Genf verhärten sich die Fronten.
Mit dem Boom der Genferseeregion geht auch eine Zunahme der Anzahl Nutzer des öffentlichen Verkehrs einher. 50 000 Personen werden täglich von den SBB zwischen Lausanne und Genf transportiert; vor zehn Jahren waren es noch halb so viele, und bis 2030 rechnen die SBB mit einer weiteren Verdoppelung. Diese Entwicklung hat jedoch auch ihre Kehrseite: Beide Bahnhöfe sind chronisch überlastet. Ihre Vergrösserung wird deshalb vom Bundesamt für Verkehr als eines der dringlichsten Projekte im öffentlichen Verkehr erachtet. Die Umbauten der beiden Bahnhöfe bilden deshalb den Kern des Projekts Léman 2030 der SBB. In beiden Fällen sind indes die Anwohner in einem bis anhin in der Schweiz ungekannten Mass betroffen: Noch nie mussten so viele Wohngebäude einem Infrastrukturprojekt der SBB weichen. Vor einem Jahr präsentierten die SBB ihre Pläne für die Erweiterung des Bahnhofs Lausanne, im Mai dieses Jahres folgten die Pläne für Genf. In beiden Fällen formierte sich der Widerstand der Anwohner. An diesem Punkt enden indes die Parallelen zwischen den beiden Projekten. Am Donnerstag informierten nämlich die SBB, die Stadt Lausanne und ein Komitee von Anwohnern über einen Kompromiss: Statt fünf Wohngebäude werden nur mehr drei abgerissen, statt über hundert Wohnungen sind «nur» noch deren 53 betroffen.
Während in Lausanne ein Durchbruch erzielt werden konnte, so dass die Arbeiten wie vorgesehen 2017 beginnen können, verhärten sich die Fronten in Genf zusehends. Im Kern geht es dabei um den Erhalt des Quartiers Grottes im Norden des Bahnhofs. Durch die Erweiterung um zwei Gleise müssten rund zehn Gebäude mit insgesamt 370 Wohnungen abgerissen werden (siehe Grafik). Sie würden durch 300 neue Wohnungen kompensiert. Die Gegner der Ausbaupläne – allen voran ein Kollektiv von Anwohnern – haben eine zweite Variante für den Ausbau ins Spiel gebracht, die ihr Quartier nicht in Mitleidenschaft ziehen würde: Statt zwei zusätzlicher Gleise an der Oberfläche zu bauen, schlagen sie den Bau eines Tiefbahnhofs mit zwei Gleisen vor. Sie stützen sich dabei auf die Studie eines pensionierten Ingenieurs. Die SBB erachten die unterirdische Lösung zwar als technisch machbar, schlagen sie aber zum jetzigen Zeitpunkt kategorisch aus. Das Hauptargument der SBB sind die Kosten: Der oberirdische Bahnhofausbau kommt laut den SBB auf 790 Millionen Franken zu stehen, der unterirdische auf 1,7 Milliarden. Zudem sei im zweiten Fall mit viel längeren Bauzeiten zu rechnen, sagt Laurent Staffelbach, Verantwortlicher für das Projekt Léman 2030. Die Zahlen der SBB werden indes von den Anwohnern und selbst von der Stadt Genf in Zweifel gezogen. Diese hat unter der Ägide ihres Bürgermeisters Rémy Pagani gemeinsam mit dem Kanton bei der ETH Lausanne eine Studie in Auftrag gegeben, in der die beiden Varianten einander gegenübergestellt werden sollen. Pagani ist überzeugt davon, dass die unterirdische Lösung letztlich weniger kosten wird, da die SBB nicht alle Kosten in die oberirdische Variante einbezogen hätten. Staffelbach antwortet auf das Misstrauen der Stadt mit einer Gegenfrage: «Wer hat mehr Erfahrung mit dem Bau von Bahnhöfen, die SBB oder die Stadt Genf?»
Zurzeit deutet nichts darauf hin, dass sich die Parteien bald einig werden könnten. Im Gegenteil. Während die Stadt das Resultat der ETH-Studie abwarten möchte, bevor sie weitere Schritte bekanntgibt, bereiten die Anwohner eine Initiative für den Erhalt des Quartiers Grottes vor. Die SBB haben derweil den Gang vors Bundesgericht bereits in ihre Planung einbezogen: Bis 2025 soll der neue Bahnhof fertiggestellt sein. In diesem Zeitplan inbegriffen sind auch vier Jahre für Gerichtsverfahren.
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