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Montag, 18. Oktober 2010

Squats vs. Saubermänner: In Genf sind besetzte Häuser wichtige, aber auch bedrohte Kulturräume


Geschrieben von: Juliane Stephan

"Es sind Solidarität und Einfallsreichtum gefragt, wenn es darum geht, die Stadt Genf aus ihrer luxuriösen Misere zu retten."



Squats – das ist englisch und steht für besetzte Häuser. Für besetzte Häuser steht auch die Stadt Genf, denn seit Jahren ist Genf einer der Mittelpunkte der internationalen Squatszene. Beziehungsweise war es das mal, seit Neuestem ist die alternative Wohnkultur von der repressiven Saubermannpolitik des Kantons bedroht.
Gelegen am größten See Europas, bekannt als die internationalste Stadt der Schweiz, neben New York die weltweite Hochburg für DiplomatInnen und internationale Organisationen – Genf hat so einiges zu bieten. Manchmal kann es damit auch ganz schön überraschen. Genf, das mit 180.000 EinwohnerInnen nicht mal so groß ist wie Mainz, galt seit den 80er Jahren als wahres Eldorado für HausbesetzerInnen und war Mitte der 90er sogar die meistbesetzte Stadt Europas.
Die ersten Wurzeln der Genfer Squatszene finden sich 1988. Obwohl damals hunderte von Häusern leer standen, war es in Genf gerade für Studierende fast unmöglich eine Wohnung zu mieten. Die Eigentümer zogen die Häuser vom Markt, um das Angebot zu verknappen und so die Preise in die Höhe zu treiben. Um gegen diese Immobilienspekulationen zu protestieren, besetze eine Gruppe von Studierenden ein leeres Gebäude in der Nähe der Genfer Altstadt. Aus diesem ersten besetzten Haus wurde das „Rhino“, das legendärste Squat Genfs und kultureller Dreh- und Angelpunkt der Squatszene. Zu Hochzeiten zählte Genf rund 2000 HausbesetzerInnen und ca. 150 besetzte Häuser. Squat bedeutet aber nicht nur gemeinsames Wohnen in besetzten Häusern, sondern ist Teil einer Bewegung für soziale Veränderung. Squats sind autonome Freiräume, die Zufluchtsorte für Studierende, gesellschaftlich Geächtete, illegalisierte MigrantInnen, AktivistInnen und KünstlerIinnen darstellen. Theater, selbstverwaltete Kinderkrippen, Clubs für Elektrojazz und experimentelle Musik, Infoläden, Photoateliers, Bistros, die täglich preiswerte Mahlzeiten servieren, das alles gehört zu den Genfer Squats dazu. Heruntergekommene Altbauten wurden in urbane Perlen verwandelt, die das Genfer Stadtbild bis heute prägen.

Öffentliche Solidarität

Dass sich die zahlreichen Hausbesetzungen in Genf halten konnten, lag vor allem an der Unterstützung durch die linken Parteien. So weigerten sich etwa die linken und mehrheitsbildenden Parteien der Kantonsregierung 1989 trotz Räumungsbefehls, die Polizei zur Evakuierung des „Rhinos“ aufzubieten. Auch große Teile der Bevölkerung zeigen sich sehr offen gegenüber den Squats. So konnten 2005 ca. 100.000 Unterschriften innerhalb eines Volksbegehrens zu Gunsten des „Rhinos“ gesammelt werden. Bei einem Open-Air-Konzert im September 2007, zu dem die Genfer Squatszene die französische Rapperin Keny Arkana eingeladen hatte, mussten wegen des großen Andrangs ganze Straßenzüge gesperrt
werden. Toleranz zeigte auch der frühere sozialdemokratische Oberstaatsanwalt Bernard Bertossa. Er ließ besetzte Häuser nur räumen, wenn der Eigentümer ein sozialverträgliches Projekt vorlegte, das hieß günstige Mietwohnungen und Büroräume anstatt Luxusapartments und überteuerte Gewerbeflächen. Zwar versicherte auch sein Nachfolger, der liberale Oberstaatsanwalt Daniel Zappelli, die Doktrin seines Vorgängers zu respektieren. Die Praxis zeigt jedoch genau das Gegenteil: Als Zappelli 2003 sein Amt antrat gab es immerhin noch 120 Squats in Genf, heute sind es gerade noch 27. Den Höhepunkt erreichte Zappellis „Saubermannpolitik“ im Juli 2007, als er das „Rhino“ und „Le Tour“, ebenfalls eines der größten und bekanntesten Genfer Squats, auf juristisch fragwürdige Weise räumen ließ. Ohne vorherige Ankündigung setzte die Polizei die BewohnerInnen – darunter schwangere Frauen und Kinder – auf die Straße. Auf eine friedliche Demonstration mit 1000 TeilnehmerInnen reagierte die Polizei sofort mit Tränengas. Besonders beispielhaft für die neue Repressionspolitik Genfs ist die Tatsache, dass Zappeli die Evakuierung ohne richterliche Grundlage anordnete. Um die fehlende Räumungsgenehmigung rechtlich zu umgehen, wurde eine juristisch sehr fadenscheinige Strategie genutzt: die Polizei rückte mit großem Aufgebot an, um die BewohnerInnen einer Personenkontrolle zu unterziehen. Währenddessen kam der Hauseigentümer mit einem Gerichtsvollzieher, um feststellen zu lassen, dass das Haus leer sei. Mit Absperrungen, Gittern und polizeilicher Überwachung wurde den BewohnerInnen jeder Zugang verwehrt. Sie hatten nicht einmal genug Zeit, ihre persönlichen Sachen zu retten, dafür durften sie sich über eine Anklage wegen Hausfriedensbruch freuen. Diese Zusammenarbeit zwischen Polizei und privaten Baufirmen ist eine juristisch fragwürdige Geste, weil der Oberstaatsanwalt damit sein Dienstgeheimnis verletzt.

Städtischer Klimawandel

Schade ist, dass selbst die parlamentarische Linke, die sich noch im Wahljahr '07 über die populistische „Saubermannpolitik“ der anderen Parteien empörte, nichts gegen die Räumungen im Juli 2007 unternahm. Und das, obwohl die Genfer Squatkultur jahrelang auf dem Dialog mit den Behörden basierte und als Instrument gegen ImmobilienspekulantInnen toleriert wurde.
In Genf herrscht heute die stärkste Wohnungsnot seit jeher, mit einem Wohnungsleerstand von 0,12% und astronomischen Mietpreisen (1000 Euro für eine 50 qm-Wohnung im Universitätsviertel). Doch anstatt diesen Trend zu stoppen, verschärft die Genfer Kantonspolitik die Lage weiter: Nach der Wirtschaftskommission des genfersavoyischen Regionalkomitees soll das steuerfreundliche Genf vor allem für GroßverdienerInnen wohnbar gemacht werden; allen Anderen droht die Abschiebung ins benachbarte Frankreich. Diese politische Richtungsänderung hätte eine Prekarisierung von Menschen, die keinen Wohnraum mehr finden, zur Folge.
Das Resultat einer solchen Politik ist nicht nur die große Wohnungsnot, sondern auch die Bedrohung der kulturellen Vielfalt. Neben alternativen Lebensräumen wie den Squats, sind auch Kulturorte wie das Artamis betroffen. Das Kulturzentrum ist eine der letzten beiden großen Bastionen der autonomen Subkultur in der Genfer Innenstadt,
das über 100 Kollektive, Ateliers und Konzertsäle auf einem alten Fabrikgelände beherbergt.
Um diesem Treiben ein Ende zu setzen, hat sich im Herbst 2007 eine Initiative aus HausbesetzerInnen, Studierenden, Sans-papiers, KünstlerInnen, Gewerkschaften, MieterInnen und sonstigen Betroffenen gegründet. Die „Association des Mal-logés“ hat es sich zum Ziel gesetzt, Druck auf die Verantwortlichen auszuüben, um günstiges und alternatives Wohnen in Genf wieder möglich zu machen. Der erste Schritt der Initiative ist der öffentliche Aufruf an die Genfer Kantonsregierung, so schnell wie möglich gegen die Wohnungsnot zu handeln, Terrain für alternative Kultur zur Verfügung zu stellen, sich gegen die Kriminalisierung von HausbesetzerInnen auszusprechen und die sinnlose Zwangsräumung von MieterInnen zu stoppen.
Es bleibt nur zu hoffen, dass die Wahlen zum neuen Oberstaatsanwalt am 20. April zu Gunsten von Zappellis sozialdemokratischem Gegner ausgehen und einen politischen Richtungswechsel mit sich bringen. Trotz der großen Repression konnte sich die alternative Kultur in Genf zwar weiterhin halten, das liegt jedoch vor allem an der großen Unterstützung der Genfer Kulturszene, die den Konzerten, Diskussionen und Filmen aus dem autonomen Spektrum immer Unterschlupf bietet, wenn sich innerhalb der übrig gebliebenen alternativen Kulturräume nicht der geeignete Ort finden lässt. Es muss daher unbedingt verhindert werden, dass diese reaktionäre Politik alles wegputzt, was noch Leben in die Stadt Genf bringt. Deshalb sind Solidarität und Einfallsreichtum gefragt, wenn es darum geht, die Stadt Genf aus ihrer luxuriösen Misere zu retten.

(Quelle: http://www.asta-uni-mainz.de
--> UniPress AG unipress 354 )

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